Kommentar der Verbandsspitze im Informationsheft 04/2022

Liebe Mitglieder, liebe Bäuerinnen und Bauern,

in der Februarausgabe unseres Informationsheftes bin ich darauf eingegangen, dass wir im Bereich Landwirtschaft und Naturschutz endlich neue Wege gehen müssen – weg von der Verbotspolitik und hin zu kooperativen Modellen. Viel ist seitdem passiert.
Der Krieg in der Ukraine hat allen vor Augen geführt, dass die Selbstverständlichkeit, mit der wir die permanente, günstige Verfügbarkeit von Lebensmitteln betrachten, fragil ist. Zwei der größten Getreideexporteure der Welt werden zumindest teilweise ausfallen und die globale Ernährungssituation gerät weiter aus den Fugen. Getreidepreise wurden in Höhen katapultiert, die wenige Wochen vorher noch undenkbar waren. Was für die meisten europäischen Verbraucher ärgerlich ist, aber finanziell gestemmt werden kann, ist für hunderte Millionen Menschen eine Katastrophe.

Es lässt einen fast sprachlos zurück, dass vor diesem Hintergrund einige politische Akteure weiterhin an ihren Doktrinen festhalten. Besonders fällt das bei den geplanten Flächenstilllegungen auf. Im Vorfeld der Agrarministerkonferenz haben wir deutlich gemacht, dass die Bäuerinnen und Bauern bereitstehen, ihr Möglichstes zu tun, um alle verfügbaren Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln zu nutzen. Viele Landwirte hat es enttäuscht, dass vonseiten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft an dem Konzept der Flächenstilllegung festgehalten wird.

Stattdessen wird argumentiert, dass zu viele Erzeugnisse für die Fütterung verwendet würden. Jetzt einen Abbau von Tierhaltung erzwingen zu wollen und dafür das Argument der Ernährungssicherheit anzubringen, verkennt die Komplexität von Landwirtschaft. Dass durch die Futtermittelerzeugung viele Flächen für die Ernährung genutzt werden, die ackerbaulich nur stark eingeschränkt oder überhaupt nicht sinnvoll bewirtschaftet werden könnten, findet überraschend wenig Erwähnung. Aus landwirtschaftlicher Perspektive wirkt das nicht in erster Linie wie ein Ansatz zur Erzeugung von mehr Nahrungsmitteln, sondern wie ein Ansatz zur Verringerung der tierhaltenden Betriebe.

Man sollte meinen, wenn es wirklich um die Sache gehen würde, dass die Verschwendung von Lebensmitteln ein Thema sein sollte. Laut einer Studie des Thünen-Instituts landen jedes Jahr pro Kopf über 70 Kilogramm Lebensmittel im Müll – allein in Privathaushalten. Das BMEL hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Projekte zum Thema Lebensmittelabfälle, das Thema ist in der Politik also durchaus bekannt. Und anders als bei der Tierhaltung entfällt hier vollkommen die Diskussion, wie landwirtschaftliche Erzeugnisse am besten genutzt werden könnten. Gerade jetzt sollte vonseiten des Bundes der Schutz von produzierten Lebensmitteln über dem Wunsch stehen, die Tierhaltung durch neue Vorgaben weiter einzuschränken.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wer heute nahezu unverändert die Agrarpolitik umsetzen will, die er vor dem Krieg in der Ukraine geplant hat, will seine politischen Projekte durchbringen. Wir sehen das besonders bei den Stilllegungen und der Diskussion um die Nutzung von ökologischen Vorrangflächen. Wenn uns, den Bäuerinnen und Bauern, dann im gleichen Atemzug vorgeworfen wird, wir würden an alten Konzepten festhängen, ist das schon zynisch.

Trotz des Krieges in der Ukraine und der sich zuspitzenden Hungerkrise, die besonders Afrika und den Nahen Osten stark treffen wird, drängen einige Umweltverbände und Entscheidungsträger weiter auf Stilllegung, Extensivierung und den Rückbau von Tierhaltung. Ich bin davon überzeugt, dass diese Ansätze nicht der Weg für eine nachhaltige Landwirtschaft sind, denn sie schwächen die Ernährungssicherheit und sind allein zum Nachteil der Landwirtinnen und Landwirte. Mit Blick auf diesen Punkt möchte ich sagen: Mein Kommentar im Februar hat weiter Gültigkeit, sogar noch in größerem Maße. Kooperation ist der einzige Weg, in dem wir alle Mitmenschen ernähren können, für die Biodiversität messbare Erfolge erzielen und gleichzeitig die Emissionen reduzieren können.

Lassen Sie mich zum Ende noch erwähnen, wie stolz ich auf unseren landwirtschaftlichen Berufsstand in Zeiten wie diesen bin. Viele Betriebe haben zähe Jahre hinter sich und auch die aktuelle Situation hat mit hohen Kosten und anhaltenden Marktverwerfungen große Herausforderungen. Dennoch haben Landwirte Hilfsgüter gesammelt, Unterkünfte für Geflüchtete zur Verfügung gestellt und für unsere europäischen Mitmenschen gespendet. Landwirtschaft war und ist, trotz anders lautender Vorwürfe, immer eine Leistung, die von Menschen für Menschen erbracht wird. Gerade in kritischen Zeiten, ob Hochwasser im Ahrtal oder Krieg in Europa, wird dies von unseren Mitmenschen gesehen.

Ihr

Olaf Feuerborn

Blick ins Infoheft: