Juli-Kommentar im Informationsheft
Werte Mitglieder,
werte Leserinnen und Leser,
der Sommer ist nun in vollem Gange und für die Landwirtschaft steht in Kürze auf dem Feld die Marktfruchternte an. Es wird sich, nach einem überwiegend sehr trocknen Frühjahr, erst noch zeigen, was all die kostenintensive Vorarbeit zum Hinstellen einer Ernte am Ende wirklich wert sein wird. Abgerechnet wird immer am Ende. Gleichzeitig merken wir alle, dass die Kostensituation sich nicht wieder auf ehemals deutlich niedrigeren Ständen einpegeln wird und auf der Einnahmenseite nicht viel Phantasie nach oben besteht. Wer zu besseren Marktphasen Teile der Ernte kontraktiert hat, der hat sich damit eventuell etwas finanzielle Luft verschafft und im Nachhinein richtig gehandelt. Jedes Handeln bei Kontrakten ist stets ein Handeln in Unsicherheit, nur nichts abschließen und warten auf eventuell noch bessere Preise lässt auch betriebliche Chancen liegen. Niemand hat alle Informationen der Welt, deshalb wird es kaum den idealen Zeitpunkt für den Verkauf der Ernte geben.
Unabhängig der volatilen Preissituationen an den landwirtschaftlichen Börsen muss festgestellt werden, dass es zunehmend die sichtbaren Ertragsverluste im Laufe der Vegetationsdauer auf dem Feld sind, die den Betrieben in der Planung erheblich zu schaffen machen. Und die durchaus auch vorsichtig werden lassen, wie viel Anteil einer Ernte denn vorher kontraktiert werden sollte und überhaupt kann. Basierend auch auf einer Pflanzenschutzmittelverfügbarkeit, die in der notwendigen Breite und Vielfältigkeit nicht mehr adäquat ausreicht, um Schäden an Kulturen zu reduzieren und damit physischen und monetären Ertrag zu sichern, steigt die Planungsunsicherheit. Die Landwirtschaft könnte mit den steigenden Wetter- und Klimaherausforderungen auch wirtschaftlich deutlich besser umgehen, wenn ein umfänglicher Instrumentenkasten vorhanden wäre und nicht nur immer weiter eingeschränkt würde.
Es sind zudem, um nur das aktuelle Paradebeispiel Schilfglasflügelzikade zu benennen, diese Ertragsverluste nicht lediglich das singuläre Problem der praktischen Landwirtschaft, sondern sie sind, wenn wir keine tragfähigen Lösungen bekommen, diese ebenso ein Problem der Gesamtgesellschaft. Massive Schäden an Kartoffeln, an Zuckerrüben und an Sonderkulturen sind nicht nur ein wirtschaftliches Problem des einzelnen Anbauers, sondern gleichwohl der nachfolgenden Verarbeitungslinie, der die Ware fehlt. Schlussendlich sinkt das regional erzeugte Angebot für den Konsumenten vor Ort. Am Ende zahlen wir also alle drauf, wenn wir uns immer weiter beschränken und unserer Handlungsmöglichkeiten für sichere Ernten hier vor Ort berauben. Globale Verantwortung beginnt mit dem Lösen von Aufgaben vor der eigenen Haustür. Eine politische Kernaufgabe der unmittelbaren Zukunft muss es daher sein, die Sicherung der regionalen Erzeugung in all ihren Facetten ernst zu nehmen.
Selbstkritisch als Branche müssen wir schon festhalten, dass wir bei Verlusten durch fehlenden Pflanzenschutz in Feld und Flur bisher sicher zu emotionslos und zahlenfixiert nach außen kommunizieren. In einer Welt, in der Flächenverbrauch in variablen Fußballfeldern gemessen wird und der Hektar als feste Bezugsgröße verschwindet, da können sich Unbeteiligte Ernteverluste von 30 oder 50 oder 70% nicht mehr vorstellen in ihrer Wucht und Dramatik. Es sind die dazugehörenden Bilder von durch Schädlinge in Mitleidenschaft gezogenen landwirtschaftlichen Kulturen, die trotz profihaftem Verhalten und Einsatz von Technik und Knowhow von Landwirten auf dem Feld nicht vollständig bis zur Ernte kommen. Diese Schadbilder müssen offener kommuniziert werden, auch wenn uns selbst Bilder von Hochglanzernten viel mehr Freude bereiten. Breitenwirkung in die Gesamtgesellschaft bekommen wir nicht nur, indem wir über Probleme abstrakt unter Nutzung der eigenen Fachtermini sprechen.
Aus dem eben Benannten wird deutlich, dass wir als landwirtschaftliche Branche weitere strategische Verbündete mehr als elementar brauchen, um druckvoll Ziele im Spiel mit Politik und Verwaltung zu erreichen. Für das Einbinden neuer Verbündeter außerhalb der eigenen Bubble werden wir viel mehr Arbeit und Engagement als je zuvor aufbringen müssen. Denn es bringt uns wenig voran, wenn Landwirte nur mit Landwirten kommunizieren und bestenfalls sich gegenseitig bestätigen in der Annahme, dass die Bedingungen nicht optimal sind. Es ist auch nicht wirklich zielführend, wenn sich zu einem Sachverhalt mehrere Organisationen melden und stets was anderes gegenüber Politik und Medien kundtun, weil man sich vorher nicht einig geworden ist oder aus bewährter Haltung immer konträr unterwegs ist. Abgestimmtes Verhalten, Vertrauen, Vertrauen und nochmal Vertrauen, dass es der andere nicht schlecht mit einem selbst meint und auch umgekehrt nicht, sowie ein hoher Impact in die Sache sind die Grundlagen, damit mehr politische Erfolge erzielt und es besser werden kann für die eigene Branche. Das erfordert von den Engagierten viel Abstraktionsvermögen weg von der Denke nur an den eigenen Betrieb und vor allem den Glauben an politische Wirksamkeit. Und genau für diese Aufgaben braucht es starke Organisationen, die dem Einzelnen eine Heimat geben. Alleine kommt da draußen niemand durch, und mag er sich derzeit noch so stark fühlen oder hoffen, dass sich schon wer für einen selbst kümmert.
Marcus Rothbart
Hauptgeschäftsführer des
Bauernverbandes Sachsen-Anhalt e.V.
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