Liebe Berufskolleginnen und -kollegen,

zu Beginn der Corona-Pandemie und mit den einhergehenden, kurzfristigen Lieferengpässen mancher Produkte ist die Rolle des Landwirtes wieder stärker in den Vordergrund getreten. Vielen Mitmenschen wurde anscheinend zum ersten Mal bewusst, dass es kein Naturgesetz dafür gibt, dass jederzeit alle Produkte verfügbar sind. Obst und Gemüse müssen angebaut, geerntet und gelagert werden. Produkte wie Nudeln brauchen Rohstoffe, tierische Lebensmittel müssen verarbeitet werden, bevor sie in den Handel gebracht und schließlich gekauft werden können. Die Pandemie hat solche Abläufe sichtbarer gemacht und eine Diskussion über Versorgungssicherheit in Deutschland ausgelöst.

Diese Diskussion ist jetzt noch relevanter als vor zwei Jahren. Nur geht es heute weniger darum, ob im Supermarkt ausreichend Toilettenpapier vorhanden ist, sondern wie viele hundert Millionen Menschen in naher Zukunft hungern. Vor dem Hintergrund muss endlich eine Neubewertung vieler Entwicklungen stattfinden, die lange Zeit politisch vorangetrieben worden sind.

Für viele unserer Betriebe kündigt sich die fünfte schlechte Ernte in Folge an, da es weiterhin viel zu trocken ist und dies gilt für weite Teile von Sachsen-Anhalt. Einige Getreidebestände wurden schon gehäckselt und siliert, um den schlechten ersten Grasschnitt zu kompensieren. Gleichzeitig steigen die Preise für Energie und essenzielle Betriebsmittel. Bestehende Kontrakte enthalten oft keine Preisanpassungsklauseln, während sie uns im Gegenzug für u.a. Dünger auferlegt werden. Ungewiss ist, ob im Herbst alle benötigten Energiespitzen gedeckt werden können, u.a. für die Trocknung von Körnermais und Sonderkulturen wie Heil- und Gewürzpflanzen ausreichend Energie zur Verfügung steht. Und während all dessen müssen sich Ackerbauern mit Gesetzen und Verordnungen wie der Hangneigungskulisse und DÜV-Abstandsregelungen, PSM-Anwendungsverordnung sowie den neuen Regelwerken der GAP beschäftigen.

Ein solches politisches Projekt und dessen Aus­wirkungen will ich etwas ausführen: Seit Jahren ist es politischer Wille, die Vielfältigkeit und Einsatzmöglichkeit von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Was solche pauschalen und fachlich nicht nachvollziehbaren Entscheidungen bewirken, sehen wir im Rapsanbau. Die Zahl der uns zum Schutz unserer Pflanzen zur Verfügung stehenden Pflanzenschutzmittel nimmt ab.

Das führt uns zum Rapserdfloh. Bereits im Herbst 2021 haben wir über die Schädigung des Rapserdflohs durch den Blattfraß in den Rapsbeständen in Sachsen-Anhalt umfangreich berichtet, in den Medien wurde das Thema aufgenommen. Der starke Zuflug des Käfers im Herbst führte zu Umbrüchen, durch einen abzusehenden Totalverlust der Winterrapsbestände. Neben der Besiedelung der Bestände und dem Fraß an den jungen Rapspflanzen, haben die Weibchen im Herbst ihre Eier abgelegt. Die Larven haben sich dann in die Stiele der Blätter gebohrt, von wo aus sie anschließend in die Sprossspitze des Triebes und teilweise bis in den Vegetationskegel vorgedrungen sind.

Aufgrund politischer Entscheidungen und daraus resultierenden, rechtlichen Vorgaben, hatten wir weder die Flexibilität, um den Rapserdfloh effektiv zu bekämpfen, noch die nötige Bandbreite an Wirkstoffen, um gegen das Entstehen von Resis­tenzen anzuarbeiten. Pauschale Reduktion und der Wirkstoffverlust wirken sich hier eindeutig negativ auf den Raps­anbau aus. Dieser ist in vielen Be­trieben in Sachsen-Anhalt aber – aus guten Gründen – fest etabliert. Neben der Förderung der Boden­fruchtbarkeit profitieren auch Biodiversität und die Insekten vom Anbau der Ölpflanze. Während der Blüte bietet der Raps eine der wichtigsten Nektar- und Pollenquellen, vor allem für Bienen. Und wir Menschen nutzen die verarbeiteten Produkte des Rapses nahezu täglich, neben Speiseöl wird der Raps als Futtermittel, Biodiesel, Schmierstoff und in vielen weiteren Produkten benötigt. Wenn wir gegenüber Politik und Medien davon sprechen, dass wir eine wirksame Handhabe für den Schutz unser Rapsbestände sprechen, geht es also um weit mehr als Biokraftstoff!

17 Prozent der Rapsflächen wurden bereits im Herbst 2021 wieder umgebrochen. Durch fehlende und gut wirkende Pflanzenschutzmittel konnte der Zyklus des Rapserdflohs nicht unterbrochen werden. Die hohe Anzahl eierablegender Käfer im Herbst, die beobachtet wurde, bewirkt in der Folge eine Schädigung durch die Larven des Rapserdflohs. Diese wurden nun im Frühjahr sichtbar und waren keine große Überraschung mehr. Den geschädigten Pflanzen fehlt der Haupttrieb, was Ertragseinbußen zur Folge haben wird, oder sie sind gänzlich abgestorben, weil der Vegetationspunkt zerfressen worden ist. Hier hätte man mehr tun können, wenn es politisch gewünscht und rechtlich möglich gewesen wäre. Wir Landwirtinnen und Landwirte sind mehr als gewillt, die Versorgung mit hochwertigen Nahrungs- und Futtermitteln sowie nachwachsenden Rohstoffen weiter zu sichern. Dazu muss von Seiten der Politik beigesteuert werden, u.a. sollte sie die Zulassung von neuen, gut wirksamen Pflanzenschutzmitteln vorantreiben, statt sie auszubremsen. Auf Druck des Verbandes liegen aktuell 2 Anträge nach Art 53, für 2 Insektizide, zur Bekämpfung vor. Aber auch diese können keine Beize ersetzen.

Statt über mehr Vorschriften muss über mehr Versorgungssicherheit, eine Flexibilisierung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik, über eine staatliche Düngemittelreserve, das Aussetzen der Energiesteuer sowie viele andere Themen gesprochen werden. Vorrang muss haben, dass positive Effekte entstehen: Mehr verfügbare Lebensmittel und weniger Hungernde, Wertschöpfungsketten aufrechterhalten und Inflation gebremst wird. Was keinen Vorrang haben darf: Politische Projekte voranzutreiben, nur weil sie einmal beschlossen worden sind. Hierfür müssen Maßnahmen zum Klimaschutz, zu Gunsten der Ernährungssicherheit, zurückgestellt werden.

Ihr Sven Borchert

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